Ich weiß, dass ich auf diesem Kanal keine besonders große Reichweite habe. Aber ich wollte die kleine Zahl an Leser*innen zumindest nicht ungenutzt lassen, um heute mal ein paar Worte zum neuerlichen „Lockdown“ der Kultur- und Veranstaltungsbranche in Deutschland loszuwerden. Vorweggestellt: Ich bin persönlich heilfroh, dass ich in den vergangenen Monaten im Schauspiel, in der Oper, im Ballett, im Kino, im Konzert, in Museen und in Ausstellungen war – das kann mir jetzt keiner mehr nehmen.
Weiterlesen „Wir brauchen euch.“Kategorie: Politik
2. FC Opera
Meine letzte Opernpremiere vor dem Lockdown war am 7. März die monumental besetzte Grand Opéra Die Trojaner von Hector Berlioz. Tags darauf war ich beim Zweitliga-Spiel Holstein-Kiel gegen Greuther-Fürth. Aufmerksame Leser*innen dieses Blogs werden sich vielleicht daran erinnern. Es erscheint, acht Wochen später, als völlig absurd. Die Idee, mit Chris ab sofort regelmäßiger über Fußball und Theater zu sinnieren, zu philosophieren und zu debattieren, um sich gegenseitig in Interessensfelder einzuführen, wich schnell den allgemein üblichen Gesprächsthemen: Corona hier, Corona da. Nun nehmen beide Themen – Fußball und Theater – aber wieder an Fahrt auf und wir haben uns ein bisschen ausgetauscht. Weiterlesen „2. FC Opera“
Angebot und Nachfrage
Das nachfolgende Stückchen in 3 Szenen ist frei erfunden. Ähnlichkeiten mit real geführten Dialogen zwischen real existierenden Personen sind reiner Zufall, aber nicht ausgeschlossen.
Szene 1, im chaotisch liebenswürdigen Ambiente des Marketingbüros eines großen Berliner Theaters:
Marketing-Mitarbeiterin 1 (MM1): „So sad, dass wir das Festival absagen mussten wegen Corona. Was machen wir denn jetzt mit den ganzen schönen Stoffbeuteln? Die wird ja jetzt keiner kaufen so ganz ohne Festival.“ Weiterlesen „Angebot und Nachfrage“
Gendergerechte Kommunikation (und andere Megatrends) – eine Gegenrede.
Heute war ich auf der Jahresveranstaltung einer größeren Kieler Werbeagentur, um etwas über die neuesten Marketing- und Kommunikationstrends des nächsten Jahres zu hören. Als Fachidiotin mit wenig Zeit für Blicke über den Tellerrand habe ich das Angebot gerne angenommen und mir einen Nachmittag Kurzvorträge angehört. Die Veranstaltung ließ sich ganz gut an, es gab Saftschorle und ein Süppchen, ein paar bekannte Gesichter und einleitende Gespräche – und eine kleine Messe mit einigen Produkt- und Online-Trends war auch aufgebaut. Weiterlesen „Gendergerechte Kommunikation (und andere Megatrends) – eine Gegenrede.“
Ich rate zu.
Obwohl ich (noch?) nicht zu den Top-Influencerinnen im Kulturbereich (gibt es die?) gehöre, möchte ich heute mal ein paar wärmste Empfehlungen aussprechen, da sich meine Beglückung durch eine Serie von Gehörtem, Gelesenem und Immer-schon-Dagewesenem gerade häuft. Weiterlesen „Ich rate zu.“
Literatur & Tagesgeschehen: Lasst uns die Wiederholung stoppen!
Ich lese gerade Beim Häuten der Zwiebel von Günter Grass. In dem 2006 erschienenen Erinnerungsbuch, man könnte es auch Biografie nennen, aber der Terminus verbietet sich eigentlich aufgrund der Art und Weise, wie Grass die eigenen Erinnerungen wie beim Häuten einer Zwiebel Schicht um Schicht freilegt und vielleicht auch mal die ein oder andere Erinnerungslücke mit seiner Fantasie anreichert. Die Erzählung folgt außerdem keinem streng chronologischen Verlauf, sondern springt mit Vor- und Rückblenden immer wieder hin und her, verweist in die Gegenwart oder wieder in die frühe Kindheit zurück. Dazwischen gibt es Verweise zum Werk, allen voran natürlich zur Blechtrommel. Hauptsächlich blieb dieses Buch dem kollektiven Gedächtnis präsent, da Grass in ihm erstmals offenlegt, dass er als Jugendlicher der Waffen-SS beitrat – ein kolossaler Fehler, den er auch eingesteht, um den es heute aber hier nicht gehen soll.
Vielmehr bin ich beim Lesen einer Passage gestolpert und musste mir nicht einmal die Augen reiben, so offensichtlich sprang mich eine Parallele zum aktuellen politischen Tagesgeschehen an. Grass berichtet retrospektiv von seiner Kunstlehrerin, die auch während des sog. Dritten Reiches Kunstbände mit Werken verfemter Künstler vorhielt und die interessierten und kunstbegabten Schülern darin blättern lies, darunter: Otto Dix, Paul Klee, Lyonel Feininger, Ernst Barlach. Dass diese Künstler allesamt als „entartet“ geschmäht und verboten waren, war den Schülern selbstverständlich klar, oft hatten sie in der Wochenschau im Kino von der wahren, echten, deutschen, schönen Kunst gehört und gesehen. Und dann kommt der Absatz, über den ich schaudernd stolperte: „Lilli Kröhnert, […] meine geliebte Lehrerin, die mir Verbotenes, immer noch einen Lehmbruck zeigte, aber auch auf geduldete Bildhauer wie Wimmer und Kolbe hinwies, lief Gefahr, von ihrem, wie sie meinte, nicht unbegabten Schüler verpfiffen zu werden. Verrat war üblich. Ein anonymer Hinweis genügte. In jenen Jahren haben glaubenseifrige Gymnasiasten oft genug ihre Lehrer – so ein Jahr später meinen Lateinpauker Monsignore Stachnik – nach Stutthof, ins KZ gebracht.“
Zeitgleich lese ich auf ZEIT ONLINE, dass sich beispielsweise die Berliner Lehrerin Nicole Schuster ängstigt, seitdem sie nach einer öffentlichen Aktion gegen die AfD bedroht wird. Diese Partei, die selbstverständlich nur mit lupenreinen Demokraten besetzt ist, hat bereits in mehreren Bundesländern eine – man kann es nicht anders nennen – Denunziationsplattform für Schüler online gestellt. Die AfD nennt dieses Angebot selbst „Informationsportal Neutrale Schulen“, Persönlichkeitsrechte denunzierter Lehrer*innen seien natürlich gewahrt und das Ganze habe nichts mit einem Online-Pranger zu tun. Die Berliner AfD schreibt zur Vorgehensweise: „Berichte über mutmaßliche Verstöße gegen das Neutralitätsgebot können uns vertraulich über unser Kontaktformular gesendet werden. Sollte ein begründeter Anfangsverdacht auf einen Verstoß gegen das Neutralitätsgebot oder eine andere diesbezügliche Rechtsvorschrift vorliegen, bieten wir an, den Vorgang unter Wahrung der Persönlichkeitsrechte an die Schulbehörde zur Überprüfung weiterzuleiten.“ Wie ekelhaft. Gerade die Anonymisierung führt ja dazu, dass engagierte Lehrer*innen nun in Angst leben müssen, denunziert zu werden und erst davon mitzubekommen, wenn die Landesschulbehörde bei ihnen auf der Matte steht. Sie sind wehrlos.
Ich schließe mich daher gerne, sobald das Portal in Niedersachsen am 17. Dezember gestartet ist, dem kreativen Protest der Piratenpartei an, die das baden-württembergische Portal innerhalb eines Tages durch Scherz-Anfragen zum Kollaps gebracht haben. Unter mein-abgeordneter-hetzt.de kann man sich Originalzitate von AfD-Politiker*innen mit gewürfelten Orten und Schulen ausgeben lassen und diese den Meldeportalen als Spam übermitteln. Nie war Spam schöner.
Zeichnung: Günter Grass
Günter Grass: Beim Häuten der Zwiebel, 2006, Büchergilde Gutenberg, Zitat v. S. 308
Gegen Ver-rückung
Manchmal gehe ich ins Museum und lasse mich überwältigen, bis mir schwindlig wird – so geschehen bei den psychedelischen Op-Art-Bildern von Victor Vasarely im Frankfurter Städel Museum. Manchmal gehe ich aber auch ins Museum und weiß danach nicht genau, wie meine sich dann spontan einstellende Gefühlslage zu deuten ist. So geschehen in der Lotte-Laserstein-Ausstellung, ebenfalls im Städel. Ich habe die Retrospektive, die in sechs thematische Bereiche eingeteilt ist, mit einer Mischung aus Ehrfurcht, Angst, Wut, Trauer und Beglückung durch Kunstgenuss verlassen und bin dann noch mal rein, um einige Bilder noch einmal anzusehen. Warum? Weiterlesen „Gegen Ver-rückung“
Braunkohle damals und heute
Herbst 2018.
Aktivist*innen wohnen auf Bäumen, Menschenketten riegeln einen Wald ab, die Naturschutzszene Deutschlands ist in Aufruhr. RWE will den letzten Rest des jahrhundertealten Hambacher Forstes für den Braunkohletagebau abholzen. Unter dem Motto #hambibleibt demonstrieren Braunkohlegegner*innen und Umweltschützer*innen gegen dieses Vorhaben. Heute lässt sich das Bild von Braunkohletagebau circa so umreißen: Investition in eine rückwärtsgewandte Energiegewinnung, Zerstörung von Landschaft und Lebensräumen, Emissionen von gesundheitsschädlichem Feinstaub, Schwermetallbelastung, ein riesiges Loch für immer, Trockenlegung eines ganzen Landstrichs (mit dadurch sinkendem Grundwasserspiegel), Lärmbelästigung für die Anwohner*innen … Weiterlesen „Braunkohle damals und heute“