Fresh ins Heute adaptiert: Goethes „Werther“ als digitales Theater

Werther ist im Lockdown. Er hockt zuhause in seinem Dachgeschoss am Schreibtisch, unzählige Browsertabs auf dem Macbook geöffnet, und zoomt mit seinem Bro Willi. Der alte Partyhengst ist gerade im Erasmussemester in Montpellier (BWL, was sonst?). Im Gegensatz zum Draufgänger Willi ist Werther ein feinfühliger Künstler, der gerade sein Jurastudium geschmissen hat und nun sein Leben umkrempeln will.

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Wir brauchen euch.

Ich weiß, dass ich auf diesem Kanal keine besonders große Reichweite habe. Aber ich wollte die kleine Zahl an Leser*innen zumindest nicht ungenutzt lassen, um heute mal ein paar Worte zum neuerlichen „Lockdown“ der Kultur- und Veranstaltungsbranche in Deutschland loszuwerden. Vorweggestellt: Ich bin persönlich heilfroh, dass ich in den vergangenen Monaten im Schauspiel, in der Oper, im Ballett, im Kino, im Konzert, in Museen und in Ausstellungen war – das kann mir jetzt keiner mehr nehmen.

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Pastell-bewegtes Trotzdem-Glück

Ich habe ein Buch verliehen, Allegro Pastell von Leif Randt. Selbst hatte ich den Roman in drei Tagen durch, die Authentizität der Figuren und ihrer Sprache ließen mich Seite um Seite umblättern, ich fand mich selbst in Teilen der Figuren – in Tanja, Jerome, Maike, Jannis … Die federleichte Melancholie bei gleichzeitigem Trotzdem-Glück in den verschiedenen Handlungssträngen erinnerten mich an mein eigenes Leben und das meiner Generation. Weiterlesen „Pastell-bewegtes Trotzdem-Glück“

Literatur & Tagesgeschehen: Lasst uns die Wiederholung stoppen!

Ich lese gerade Beim Häuten der Zwiebel von Günter Grass. In dem 2006 erschienenen Erinnerungsbuch, man könnte es auch Biografie nennen, aber der Terminus verbietet sich eigentlich aufgrund der Art und Weise, wie Grass die eigenen Erinnerungen wie beim Häuten einer Zwiebel Schicht um Schicht freilegt und vielleicht auch mal die ein oder andere Erinnerungslücke mit seiner Fantasie anreichert. Die Erzählung folgt außerdem keinem streng chronologischen Verlauf, sondern springt mit Vor- und Rückblenden immer wieder hin und her, verweist in die Gegenwart oder wieder in die frühe Kindheit zurück. Dazwischen gibt es Verweise zum Werk, allen voran natürlich zur Blechtrommel. Hauptsächlich blieb dieses Buch dem kollektiven Gedächtnis präsent, da Grass in ihm erstmals offenlegt, dass er als Jugendlicher der Waffen-SS beitrat – ein kolossaler Fehler, den er auch eingesteht, um den es heute aber hier nicht gehen soll.

Vielmehr bin ich beim Lesen einer Passage gestolpert und musste mir nicht einmal die Augen reiben, so offensichtlich sprang mich eine Parallele zum aktuellen politischen Tagesgeschehen an. Grass berichtet retrospektiv von seiner Kunstlehrerin, die auch während des sog. Dritten Reiches Kunstbände mit Werken verfemter Künstler vorhielt und die interessierten und kunstbegabten Schülern darin blättern lies, darunter: Otto Dix, Paul Klee, Lyonel Feininger, Ernst Barlach. Dass diese Künstler allesamt als „entartet“ geschmäht und verboten waren, war den Schülern selbstverständlich klar, oft hatten sie in der Wochenschau im Kino von der wahren, echten, deutschen, schönen Kunst gehört und gesehen. Und dann kommt der Absatz, über den ich schaudernd stolperte: „Lilli Kröhnert, […] meine geliebte Lehrerin, die mir Verbotenes, immer noch einen Lehmbruck zeigte, aber auch auf geduldete Bildhauer wie Wimmer und Kolbe hinwies, lief Gefahr, von ihrem, wie sie meinte, nicht unbegabten Schüler verpfiffen zu werden. Verrat war üblich. Ein anonymer Hinweis genügte. In jenen Jahren haben glaubenseifrige Gymnasiasten oft genug ihre Lehrer – so ein Jahr später meinen Lateinpauker Monsignore Stachnik – nach Stutthof, ins KZ gebracht.“

Zeitgleich lese ich auf ZEIT ONLINE, dass sich beispielsweise die Berliner Lehrerin Nicole Schuster ängstigt, seitdem sie nach einer öffentlichen Aktion gegen die AfD bedroht wird. Diese Partei, die selbstverständlich nur mit lupenreinen Demokraten besetzt ist, hat bereits in mehreren Bundesländern eine – man kann es nicht anders nennen – Denunziationsplattform für Schüler online gestellt. Die AfD nennt dieses Angebot selbst „Informationsportal Neutrale Schulen“, Persönlichkeitsrechte denunzierter Lehrer*innen seien natürlich gewahrt und das Ganze habe nichts mit einem Online-Pranger zu tun. Die Berliner AfD schreibt zur Vorgehensweise: „Berichte über mutmaßliche Verstöße gegen das Neutralitätsgebot können uns vertraulich über unser Kontaktformular gesendet werden. Sollte ein begründeter Anfangsverdacht auf einen Verstoß gegen das Neutralitätsgebot oder eine andere diesbezügliche Rechtsvorschrift vorliegen, bieten wir an, den Vorgang unter Wahrung der Persönlichkeitsrechte an die Schulbehörde zur Überprüfung weiterzuleiten.“ Wie ekelhaft. Gerade die Anonymisierung führt ja dazu, dass engagierte Lehrer*innen nun in Angst leben müssen, denunziert zu werden und erst davon mitzubekommen, wenn die Landesschulbehörde bei ihnen auf der Matte steht. Sie sind wehrlos.

Ich schließe mich daher gerne, sobald das Portal in Niedersachsen am 17. Dezember gestartet ist, dem kreativen Protest der Piratenpartei an, die das baden-württembergische Portal innerhalb eines Tages durch Scherz-Anfragen zum Kollaps gebracht haben. Unter mein-abgeordneter-hetzt.de kann man sich Originalzitate von AfD-Politiker*innen mit gewürfelten Orten und Schulen ausgeben lassen und diese den Meldeportalen als Spam übermitteln. Nie war Spam schöner.

Zeichnung: Günter Grass
Günter Grass: Beim Häuten der Zwiebel, 2006, Büchergilde Gutenberg, Zitat v. S. 308