Ich und die Kunst. Das ist so ein Thema. Mit wenig Sachverstand, aber neugierigem und aufgeschlossenem Blick tigere ich liebend gern durch Ausstellungen und lasse mich inspirieren. Manchmal geht das mit einer Spontanverliebung, einem Geistesblitz, einem Nachdenken einher. Eine Mischung aus all diesen Punkten hatte ich kürzlich beim Anblick einer Serie großformatiger Plakate, die sich sehr zur Aufwertung der eigenen Wohnung eignen. Daher möchte ich die Künstlerin und ihre Werke sehr gerne vorstellen.
Die drei Plakate – alle in DIN A1 (es bietet sich also ein hübscher heller Flur oder eine freie Wand an, um die Werke in Serie zu hängen oder aufzustellen) – stammen von der Hamburger Grafikdesignerin und Illustratorin Christiane Dunkel-Koberg. Sie gestaltet jedes Jahr ein Plakat zu einem bestimmten Thema als eine Art augenzwinkernde künstlerische Jahresstatistik, man könnte von einer „StARTistik“ sprechen. 2018 waren es die Hamburger Höchsttemperaturen an allen Tagen, 2019 jeden Tag ein Baum inklusive Legende und 2020 jeden Tag ein Foto des Himmels, Titel: „2020, tagsüber“. Den Plakaten gemein ist, dass sie in ihrer schlichten Ästhetik und akkuraten Genauigkeit auf die Ferne wirken, insgeheim aber vor Nuancen, Details, offenen Fragen und auch mancher Antwort, kurzum: Opulenz als Understatement auf das wache Auge wirken.
Zum Beispiel die Höchsttemperaturen (von denen es schon mehrere Jahresplakate gibt): Christiane Dunkel-Koberg wählt pro 2° C-Schritt einen neuen Farbwert (im CMYK-Farbraum), ganz nach eigenem Empfinden, wobei sie logischerweise darauf achtet, dass von Grad zu Grad ein bisschen mehr Wärme, also Gelb und Magenta, dazukommt. Am heißesten Tag im Jahr 2018 stieg das Thermometer bis auf 36° C. Würde es in Zukunft noch heißer, dann käme wohl noch ein ins Violette tendierender Dunkelrotton hinzu – eine Farbe, der auch eine gewisse Aggressivität innewohnt. Was ich an den Temperaturen so gut finde, ist, dass sie den Themenbereich Kunst und Klima so wunderbar versinnbildlichen. Das ist so plastisch, so wahr, ohne einen wissenschaftlichen Anspruch erfüllen zu wollen. Das kann die Kunst auch nicht. Sie kann nur zeigen und berühren. Und wenn ich sehe, wie in jedem Jahr die blauen Punkte weniger werden, dann ist das schon sehr deutlich. Beispielsweise gab es 2020 keinen einzigen blauen Punkt mehr auf dem Plakat, heißt konkret: kein Tag mit Frost in Hamburg. Es geht eine Facette verloren – und zwar nicht nur eine farbliche, sondern auch eine Facette unseres Wetters. Das ist so klar, und dennoch schreit es nicht. Es drängt sich nicht auf, es ist nur da. Ob man nun das Jahresmittel berechnen, über den Klimawandel sinnieren, die heißesten mit den kältesten Tagen vergleichen oder sich einfach nur an der fröhlichen Farbpalette erfreuen möchte, das obliegt ganz dem*der Betrachter*in. Die Höchsttemperaturplakate sind zuallererst schön und machen gute Laune, erst bei näherer Betrachtung transportieren sie uns einen zusätzlichen Effekt, einen Mehrwert, öffnen den Geist.

2019 waren es dann die Bäume. Christiane Dunkel-Koberg hat an jedem Tag einen Baum fotografiert, meistens in Hamburg, aber auch im Urlaub, in Linz, Berlin, Göttingen, Ratzeburg … Das reicht vom Ahorn über die Eiche bis hin zur Pappel und zum Gingko. In allen Farben des Regenbogens. Zärtlich knospend im Frühling, grün und stark im Sommer, rot schillernd im Herbst und kahl im Winter. Von weitem betrachtet weiß man gar nicht, was man auf dem Plakat erkennen soll, erst auf 30 cm Entfernung liest man die Legende, schmunzelt, dass Dunkel-Koberg wohl am 16. und 17. Oktober 2019 auf der Frankfurter Buchmesse gewesen sein muss, fragt sich, wo in Hamburg die japanische Blütenkirsche wohl zu finden ist (Planten un Blomen?) und ob die Künstlerin tatsächlich an jedem einzelnen Tag mit der Kamera draußen war, um einen neuen Baum zu fotografieren. Trotz Termindrucks als Grafikerin? Und auch, wenn das Wetter fürchterlich war? Man weiß es nicht, es spielt auch keine Rolle, Kunst ist und bleibt schließlich die schönste Behauptung der Menschheit.
Und im belastenden Corona-Jahr 2020, das Jahr, das alle irgendwie so schnell wie möglich vergessen möchten? Da präsentiert uns Dunkel-Koberg nun also Himmel. Wie alle Welt war auch die Künstlerin auf endlosen Spaziergängen durch Hamburg unterwegs und hat jeden Tag die Kamera nach oben gerichtet. Es regnet viel in Norddeutschland? Keineswegs! Die Mehrzahl der Himmel ist blau, mal mit harmlosen Schleier- oder Schäfchenwolken. Das hebt die Stimmung doch ad hoc. Und die beunruhigende anhaltende Trockenheit in Deutschland wäre – ganz nebenbei – also auch noch bewiesen.
Am seriellen Gedanken der Jahresplakate gefällt mir, dass sie in ihrer Themensetzung und ihrer Gestalt so verschieden sind, aber wegen der Klarheit der Aussage – 365 Quadrate oder Kreise – wunderbar als laufend erweiterbares Ensemble funktionieren.
Nun ist es leider so, dass Christiane Dunkel-Koberg diese wunderbaren Plakate momentan nur auf Bestellung drucken lässt. Was schade ist, da sie sicherlich vielen Menschen sehr gut gefallen würden. Falls es in Hamburg, vielleicht sogar im Stadtmarketing, eine Kunstdruckwerkstatt, einen Kunsthandel / Interior Styling Laden / Concept Store / Startup oder ähnliches gibt, der die Plakate vertreiben möchte – das wäre doch mal eine gute Idee, oder nicht?
Weitere Infos zur Arbeit von Christiane Dunkel-Koberg gibt es HIER.

Titelbild: © Sonja Brüggemann
dein text ist eine so wunderbare entsprechung auf christiane dunkel-kobergs kunstwerke. sowas passiert ganz selten, noch viel seltener, als ein schönes kunstwerk: eine entsprechung auf ein kunstwerk.
Ich bin hin und weg.
es ist so: ich hab christianes plakate vom ersten sehen an geliebt, ich wusste, sie macht da etwas besonderes. und trotzdem hast du mir, liebe ulrike, nochmal die augen geöffnet dafür.
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