Ich habe ein Buch verliehen, Allegro Pastell von Leif Randt. Selbst hatte ich den Roman in drei Tagen durch, die Authentizität der Figuren und ihrer Sprache ließen mich Seite um Seite umblättern, ich fand mich selbst in Teilen der Figuren – in Tanja, Jerome, Maike, Jannis … Die federleichte Melancholie bei gleichzeitigem Trotzdem-Glück in den verschiedenen Handlungssträngen erinnerten mich an mein eigenes Leben und das meiner Generation. In das Buch habe ich eine Postkarte gelegt, auf ihrer Vorderseite: unzählige Avocados. Hinten schrieb ich ungefähr so: „Für mich das Buch unserer Generation wie die Avocado auch das Gemüse unserer Generation ist. Würde mich über deine Meinung freuen.“ Der Mann, dem ich das Buch lieh, hatte mir vor einer Weile auf eine meiner „Desperate-academic-Single-Woman-in-her-Early-Thirties“-Instagram-Stories geantwortet mit der erst impliziten, rasch expliziten Frage, ob er mich kennenlernen könne. Ich mochte seine sensibel tastende Initiative und willigte sehr gerne ein. Wir haben uns in den folgenden zwei Monaten mal mehr, mal weniger oft getroffen. Unsere Begegnungen waren, jedenfalls meiner Wahrnehmung nach, schön und harmonisch. Ich ertappte mich dabei, wie mir die Zeit zwischen den Treffen zu lang wurde. Was ich als gutes Zeichen wertete. Aber es ist naiv zu glauben, dass zwei nicht mehr ganz unbefangene Erwachsene, die sich sympathisch finden, mal schnell eine Beziehung anfangen können und alles ist einfach. Jede*r hat schon Themen, Marotten, Beziehungen, Trennungen, Geschichte(n) gesammelt und schleppt sie mit sich herum. Manchmal wiegen sie sogar schwer, oder zumindest glaubt man das, grübelt, zweifelt, stellt nicht nur dieses aufkeimende Pflänzchen der Annäherung infrage, sondern vielleicht auch gleich sein ganzes Leben. Und obwohl es so naiv ist, glaube ich doch jedes Mal, wenn so eine kleine Lovestory beginnt, jetzt ist es endlich einmal einfach. Damit falle ich dann regelmäßig auf die Nase. In den letzten Jahren habe ich mich einige Male wieder aufgerappelt, mal ging es schneller und mal langsamer, manchmal habe ich vielleicht eine kleine Blessur davongetragen, aber im Großen und Ganzen war doch alles ganz okay. Ich lebte im pastell-bewegten Trotzdem-Glück meines großstädtischen Single-Daseins. Im Hinterkopf die rhetorische Frage, das Totschlagargument aller Menschen, die täglich nur mit First-World-Problems konfrontiert sind: Was soll ich mich beschweren? Es geht mir doch gut.
Aber in meinem Herz sind viele kleine Risse. Ich versuche nicht sie zu kitten. Aber vielleicht kommt mal jemand und pinselt eine Goldlasur drauf. So wie bei zerbrochenem Porzellangeschirr in Japan. Oder so, wie Buchtitel und Autorenname auf dem Cover von Allegro Pastell.