Als akademisch ausgebildete, im Kultursektor arbeitende junge Frau, bezeichne ich mich seit einiger Zeit ganz natürlich als Feministin. Alles andere wäre ja auch Schwachsinn. Es ist klar, dass es noch immer keine Gleichberechtigung gibt. Frauen werden für gleiche Arbeit schlechter bezahlt als Männer oder ergreifen schlechter bezahlte Jobs (diese werden aus irgendwelchen Gründen als weniger wertvoll angesehen – entschieden hat das wohl das patriarchale System, in dem wir, auch in Deutschland, immer noch leben). Frauen müssen immer ein Stück besser sein als Männer, und sind laufend konfrontiert mit Erwartungen, die an sie herangetragen werden. Eine Frau in Vollzeit mit Kind – was für eine Rabenmutter. Eine Frau in Vollzeit ohne Kind – die will wohl Karriere machen. Diese stark verkürzten stereotypen Gedanken gehören zum Alltag, haben sich in den Köpfen festgesetzt wie der unerträglichste Ohrwurm und tragen zur unverbrüchlichen Ungleichbehandlung zwischen den Geschlechtern bei. Die hitzig geführte Diskussion um gendergerechte Sprache und Menschen, die sich keinem Geschlecht eindeutig zuordnen können oder wollen, hat die Sache noch einmal verkompliziert. Wieder fühlen sich meist cis-heterosexuelle weiße Männer diskriminiert oder schlechter behandelt und man kann so oft man will, wiederholen, dass nicht IHNEN etwas weggenommen, sondern nur ANDEREN, bislang marginalisierten Gruppen, etwas gegeben wird. Aber dass das geht, geben, ohne zu stehlen, scheint absolut unverständlich zu sein. Deswegen bezeichne ich mich gerne als Feministin, versuche den Gender Gap mitzusprechen und achte auch im Schreiben auf Gendergerechtigkeit. Vielleicht mache ich es nur aus einer gewissen Comfort Zone heraus, denn ich kann für etwas kämpfen, was mich als Frau (und dazu im gebärfähigen Alter) immer noch betrifft – leider. Meine Italienischlehrerin sagt, sie kann die Männer verstehen. Es läge in der Natur des Menschen, dass er sich nichts, was er sich erarbeitet oder was er geschenkt bekommen oder geerbt hat, wegnehmen lassen wolle. Ob es nun um gewisse Privilegien oder eine schöne Stadtvilla in Florenz gehe, täte dabei nichts zur Sache.
Jetzt ist es aber passiert, dass mein eigenes Selbstbild als ach so unabhängige, selbstbestimmte, ja: feministische Frau gehörig ins Wanken geraten ist. Ich habe mich niemals mit theoretischen Konzepten zum Feminismus auseinandergesetzt und weiß daher nicht, was eigentlich dahintersteckt. Und man sollte bei einer Sache, in der man sich nicht auskennt, davon aufgehen, dass alles, was der Bauch sagt, falsch ist, sagt der Philosoph und Physiker Kai Schreiber. Was muss man also erfüllen, um eine wahre Feministin zu sein? Da ich nur für die Abschaffung gewisser patriarchaler Privilegien bin, die so selbstverständlich abgeschafft gehören, dass wir gar nicht mehr darüber reden müssen sollten, bin ich vielleicht gar keine Feministin, sondern nur irgendeine normale Frau, die die oben genannten Punkte als untragbar einstuft, weil sie selbst einen Vorteil daraus erfahren könnte, wenn sie abgeschafft würden. Wie man aus dem vorangegangenen schrecklichen Schlangensatz herauslesen kann, habe ich einen major struggle mit meinem eigenen Feminismus – seit gestern. Dass das alles nur ein first world problem ist, macht die Geschichte, die jetzt kommt, den Auslöser des ganzen Hin- und Her-Überlegens, nicht gerade einfacher. Was war passiert?
Ich war beim Waxing. Einmal Beine, Intimbereich und Achselhöhlen bitte. Ich habe Geld dafür bezahlt, dass mir eine nette junge Frau 50 Minuten lang Schmerzen zugefügt hat, die absolut sinnlos und vermeidbar gewesen wären. Ich lag auf dieser Liege, die Schweißperlen standen mir auf der Stirn, ich habe den Schmerz weggeatmet so gut es ging, hatte Sorge ihr mein angewinkeltes Knie in einem Akt absoluten Selbstbeherrschungsverlustes irgendwohin zu rammen und verstand, warum in dem Studio jederzeit recht laute Musik lief – die Menschen, die vorne gleichzeitig Dauerwellen und blonde Strähnchen gemacht bekamen, sollten von der Folterkammer im Hinterstübchen natürlich nichts mitbekommen. Schon während ich dort lag, ventilierten in meinem Kopf die Gedanken: „Was zum Teufel tust du hier? Wem nützt es, wenn deine Beine glatt sind und aus dem Bikinihöschen kein Härchen rausguckt? Wer wendet sich kopfschüttelnd von dir ab, wenn du mit haarigen Achselhöhlen am Strand spazieren gehst? Wer verlangt diese Prozedur von dir?“ Wie man leicht erraten kann, sind all diese, im Schweiße meines Angesichts und im Moment gemeinster Schmerzen entstandene Fragen gänzlich unbeantwortet geblieben. Und als ich nach der Folter meine völlig irritierte Haut an den Beinen sah, brach ich gänzlich in Panik aus. Jetzt sind zwar die Haare weg, aber dafür sieht es aus als hätte ich die Röteln?! What?! Dass ich empfindliche Haut habe, war mir zwar schon mal gesagt worden, aber dass es derart desaströs um mich stand, war mir nicht klar. Ich verließ verstört das Studio. Ich betrachtete meine Beine. Ich war sehr unglücklich in diesem Moment. Nicht wegen der Hautirritation oder weil ich ein solch wehleidiges, weinerliches Mädchen war, das darüber auch eine gehörige Portion Scham empfand. Das nicht. Sondern weil ich mich meiner Würde beraubt fühlte. Warum versetze ich, eine unabhängige junge Frau mit festem Einkommen und einem Haufen offenstehender Optionen in ihrem schönen Erste-Welt-Leben, mich solch einer sinnlosen und schmerzhaften Prozedur? Es ist ein unerklärliches Paradox. Es ist ein Dilemma. Und doch: Ich hatte mich, aus freien Stücken, ganz allein dazu entschieden.
Ich fragte mich, wann ich mich erstmals dazu entschieden hatte, meine Beine zu enthaaren, was der Grund dafür gewesen war. War es die Werbung („I’m your Venus, I’m your fire, at your desire…“)? Gab es Peer Group Pressure? Stand es in der Bravo Girl? Vermutlich war es eine Mischung aus all dem. Rekonstruierbar ist es nicht mehr, es ist schon sehr lange her. Ausgeschlossen werden kann eine mütterliche Vorbildfunktion, denn meine Mutter rasierte sich nicht. Ich erinnere mich aber daran, dass ich sie degoutiert anschaute, nachdem ich damit begonnen hatte. Dafür schäme ich mich heute. Sie war die eigentliche Feministin. Niemand hatte von ihr verlangt, sich zu rasieren, nicht mein Vater, der gleichzeitig ihr Mann ist, und auch sonst niemand. Und sie selbst offensichtlich erst recht nicht. Ich erinnere mich an eine Szene in unserem Wohnzimmer, ich war vielleicht 13 oder 14 Jahre alt. Eine Freundin von mir, Marina, war zu Besuch. Sie kam aus der Stadt und war in den Sommerferien zum Reiten bei uns auf dem Hof. Abends saßen wir alle, noch immer ein bisschen nach Stall riechend und nachlässig gekleidet, auf der Couch und schauten fern. Sie hatte stoppelige Beine, auf die ich einen Moment zu lang gestarrt hatte. Sie sagte: „Ich weiß, ich muss mal wieder meine Beine epilieren…“ Mein Vater meinte, sie müsste gar nichts, den Schmarrn könnten wir uns auch sparen. Er war der eigentliche Feminist. Und sparen stimmte ja sogar im doppelten Wort-Sinn. Ich will gar nicht wissen, wie viel Kohle für Rasierklingen schon aus meinem Portemonnaie in die Kassen von Müller- und DM-Drogeriemärkte geflossen sind. Gleichzeitig dachte ich noch mal über die drei Punkte am Ende von Marinas Aussage nach. Da war ein Aber. Das Aber bezog sich auf den Ort, auf die Zeit. „Ich weiß, ich muss mal wieder meine Beine epilieren… Aber doch nicht hier in den Reiterferien.“ So war das nämlich. Bei uns im Weiler liefen keine hotten Typen rum, denen man gefallen wollte. Dabei hatten wir die hotten Typen andernorts (die wahrscheinlich ihre eigenen Akne-Probleme hatten) niemals gefragt, ob sie sich Mädchen mit glatten Beinen wünschten. Ich erinnere mich nicht an ein einziges Gespräch zu dem Thema mit einem gleichaltrigen Jungen. Irgendwas hat mich aber doch dazu bewogen, die klare Meinung meines Vaters und die Vorbildfunktion meiner Mutter zu überhören/-sehen und mit dem Strom zu schwimmen. Mit möglichst tollen Haaren auf dem Kopf und möglichst keinen an den meisten anderen Körperteilen.
Ein anderes Thema, das irgendwie im selben Kosmos herumschwirrt, ist eine Werbung, die mir in letzter Zeit häufiger in den Sinn gekommen ist. Ich glaube, die Produktserie gibt es nicht mehr, zumindest habe ich sie lange nicht mehr im Supermarkt gesehen. Wir haben früher aber immer über diese Werbung gelacht, weil mein Vater Paul heißt und der Annahme war, dass der Name in seiner Generation (Babyboomer) quasi nicht vorkomme. Darum fand er die Werbung lustig, er dachte immer, es ginge um ihn. Die Werbung ging jedenfalls so: Zwei Frauen sind zusammen in einem Raum und eine sagt: „Paul findet meine Busen zu klein. Und meinen Bauch zu dick. Ich finde mich aber extrem ok.“ Dabei beißt sie in ein Brot mit einem Aufstrich und die andere Frau fragt: „Paul? Wer ist eigentlich Paul?“ Dann giggeln sie noch ein bisschen vor sich hin, finden sich selbst extrem ok und die Produktserie wird gezeigt. Du darfst. Wie perfide diese Werbung doch war. Weil ich mich selbst als Frau extrem ok finde, darf ich den faden und fettreduzierten Aufstrich essen? Na, Dankeschön auch! Wenn die Frau in ein Brot mit Haselnuss-Dattel-Aufstrich + Bananenscheiben gebissen hätte, dann hätte es ja wenigstens Sinn ergeben. Ja, du darfst! Zu dieser Werbung sagte meine Mutter immer, sie glaube nicht, dass es so sei. Meistens seien es die Pauls, die alles extrem ok fänden, wohingegen wir Frauen immer diejenigen seien, die hier gerne etwas mehr, dort aber gerne etwas weniger hätten und uns darüber ärgerten, warum das Körperfett so ungünstig verteilt wäre. Und genau das sei unser Problem. Wieder war sie es, die einen Punkt erkannt hatte, den ich, 12-jährig, damals weder sehen noch akzeptieren konnte. Über Body Positivity wurde damals noch nicht gesprochen. Das war Ende der 90er. Aber darauf wollten sowohl die Werbung (trotz ihrer absurden Perfidie) und meine Mutter hinaus.
Beide Beispiele aus meiner Jugend sind Symptome für ein grundsätzliches, unerklärliches Frauen-Neid-Problem. Wir messen uns an anderen Frauen, wollen immer besser und toller und schöner und perfekter sein als die anderen, anstatt uns gegenseitig schön zu finden und, obacht fieses Wort: zu empowern. Unser Verhalten ist unerträglich. In den zwei Wochen, die ich unrasiert in Italien herumspaziert bin, hat mich kein einziges Mal jemand angesprochen und darum gebeten, jetzt doch endlich mal die Haare wegzumachen. Ich habe aber, traurig, traurig, tatsächlich ein paar Mal über eine solche Situation nachgedacht. Ich lief die Strandpromenade entlang und habe überlegt, wie ich, wenn ich jetzt einen flotten Italiener kennenlernen würde, entgegnen könnte, wenn der mich auf meine ungepflegte Körperbehaarung anspräche. Es kam nicht zu einer solchen Konfrontation, aber ich bin mir ziemlich sicher, dass ich nicht geantwortet hätte: „Also in Deutschland haben die Frauen das schon längst aufgegeben, wir sind Avantgarde! Kommt in Italien bestimmt auch bald an.“ Eher hätte ich so geantwortet: „Jo, sorry, weiß ich, ich muss die gerade wachsen lassen, damit die fürs Wachsen-lassen lang genug sind. Wenn du willst, können wir am Freitagabend was trinken gehen, da sind die Haare dann weg. OK?“ (Zum Zeitpunkt des Gesprächs hätte ich ja noch nicht gewusst, dass meine Beine am Freitagabend von roten Pusteln übersät sein würden.)
Was mache ich jetzt mit dieser Geschichte? Kommt sie zu den Urlaubsanekdoten? Packe ich sie in die Schublade der augenrollmäßig-peinlichen Erfahrungen einer von first world problems gebeutelten Heulsuse? Sollte ich einfach anerkennen, dass mein eigenes Selbstbild gerade einen gehörigen Riss bekommen hat? Oder hat das alles am Ende einfach überhaupt nichts mit Feminismus zu tun? Gehen die Frauen alle zum Bleaching und Botoxing und zur Kosmetik und zur Maniküre, weil sie es selbst entscheiden können? Oder weil sie von einer unsichtbaren Kraft dazu getrieben werden? Ich habe keine Ahnung. Nicht einmal die Spur einer Ahnung. Bitte, liebe Margarete Stokowski, Jasmin Mittag, Sophie Passmann, Alice Schwarzer, Judith Butler, liebe Feministinnen auf diesem Planeten … antwortet mir.
Intrasexuellen Konkurrenz unter Frauen wird von Feministinnen tatsächlich weitestgehend ignoriert – die schiebt man dann lieber Männern in die Schuhe.
LikeLike
Behaarung ist Mode und unterliegt somit einem Zeitgeist. Dass gerade nachgemalte Augenbrauenbüsche wieder in sind, irritiert mich, der medial mit Theo Waigel aufgewachsen ist, sehr. Auch ich habe mich rasiert, aus einer Gewohnheit heraus und habe irgendwann damit aufgehört, weil ich bei mir angekommen war, meinen Körper akzeptieren konnte, weshalb ich auch nicht mehr meine Haare färbe.
Gerade musste ich an das Sprichwort „kein gutes Haar an jemandem lassen“ denken. Haare boten Schutz vor Kälte (ganz, ganz früher) und bieten jetzt Angriffsfläche. Die Entfernung der Haare ist eine Verjüngungskur. Von daher würde ich die Betrachtung gar nicht auf Gender (und Feminismus) reduzieren, sondern auf soziale, kulturelle und normative Aspekte, unabhängig von der Geschlechtszugehörigkeit. Haaränderungen waren bei mir oft an andere Änderungen gekoppelt, also sichtbaret Ausdruck darüber, dass sich innen etwas verändert hat. Vielleicht wolltest du ja einfach „die alten Zöpfe“ loswerden, um den nächsten Schritt unbelastet (unbehaart) zu machen? Lila Latzhosen oder Achselhaare machen aus dir nicht automatisch eine Feministin und intersektionale Aspekte sind m. E. viel wichtiger heutzutage, als die Fokussierung. Btw, Rasierptodukte für Frauen* (von einer Binarität ausgehend und davon, dass rosa und pink für diese Zielgruppe gedacht sind) sind teurer als die blauen…
LikeLike
Es heißt übrigens „short desire“, nicht „at your desire“. Kurzvergnügen.
LikeLike
Hm, ich hatte die Lyrics eigentlich gegoogelt. Da gibt es wohl zwei Versionen.
LikeLike