„Das trifft sogar meinen Humor“: Regisseurin Claudia Isabel Martin zur Zeitmäßigkeit der Operette

Mit der Operette ist es so eine Sache. Als Kunstform der leichten Muse, der Popularmusik, zu Beginn des 20. Jahrhunderts höchst beliebt, wurde sie irgendwann von dem aus den USA nach Europa überschwappenden Musical in die Ecke gedrängt. Heute gibt es zwar auch an den großen Opernhäusern immer mal wieder Operetten, aber das Repertoire beschränkt sich auf Die Fledermaus, Die lustige Witwe, Im weißen Rössl und einige wenige andere. Dabei hatte die Operette eine Blüte mit gesellschaftskritischen und aktuellen Themen sowie Persiflagen zu allen erdenklichen Stoffen. Durch ihre Leichtigkeit und Ironie schaffte sie es, diese einem breiten Publikum zugänglich zu machen. Ungefähr so verhält es sich mit der Oscar-Straus-Operette Die lustigen Nibelungen von 1904. Wem Wagners Ring zu lang und Hebbels Nibelungen zu kompliziert sind, findet die Truppe rund um Siegfried, Brunhilde und Co. also auch in Straus‘ „burlesker Operette“. Klar, dass den Nazis eine Parodie auf den hehren deutschen Stoff, und dann auch noch von einem jüdischen Komponisten ein Dorn im Auge war. Schindluder mit Wagner und dem Nibelungenlied? Das geht natürlich gar nicht. Die Operette war demnach während der NS-Zeit verboten und wurde erst in den 70er Jahren wiederentdeckt. Kürzlich hatte ich bei der Jungen Operette Frankfurt die Gelegenheit das Werk zu sehen. Und was soll man sagen: Es ist schon eine ziemliche Hanswurstiade, und zwar mit mehreren Hanswürsten. Aber Spaß macht das trotzdem: Ein bunter Hofstaat als agiles Ensemble, jeder mit seinen eigenen kleinen Scharmützeln, eine schlagkräftige Brunhilde, die – wenn schon nicht von Gunther, dann eben vom unbezwingbaren Siegfried – im Boxkampf besiegt wird und darum Gunther ehelichen muss, ein kluger Vogel, zwei tollpatschige Drachen und ein meuchelnder Hagen sind mit von der Partie. Dargeboten wurde dieses leichtfüßige Singspiel mit Mini-Orchester und Erzählerfigur im Großen Saal der Freimaurerloge Zur Einigkeit. Allein das war den Besuch eigentlich schon wert.

Das kulturheftchen traf Regisseurin Claudia Isabel Martin exklusiv zum Interview auf dem graubraunmelierten Sofa.

Auf einer Skala von 1 – 10 : Wie sehr magst du die Gattung Operette?

Tatsächlich mittlerweile 11, weil es echt coole Stücke gibt. Die Ironie und Satire in den Stücken finde ich spannend. Das trifft sogar meinen Humor (lacht).

Wie bist du zur Operette gekommen?

Ute (Ute Bolz-Fischer, d. Red.) hat mich angerufen und gefragt, ob ich eine Operette machen möchte und ich fand das grundsätzlich schon spannend, hatte es aber vorher noch nicht gemacht. Und dann habe ich letztes Jahr mit dem Waldmeister (von Johann Strauß, Sohn, d. Red.) meine erste Operette mit dem Ensemble in Frankfurt gemacht.

Was waren beim Inszenieren mit dem Ensemble die die größten Herausforderungen?

(überlegt lange) Mit wenigen Mitteln für ein buntes Spektakel zu sorgen.

Und hat es geklappt?

Ich würde sagen, ja. Also es wirklich lebendig zu erzählen, nicht in Operettenklischees zu fallen, das ist schon eine Herausforderung. Ich versuche für das Ensemble einen Ansatz zu finden, der trägt, und auch zwischen den Zeilen zu lesen.

Wie war die Arbeit mit den Sänger*innen?

Abwechslungsreich, in dem Sinne, dass alle unterschiedliche Erfahrungen mitbringen. Ich muss also jede*n an einem bestimmen Punkt abholen und mitnehmen. Einige kannte ich schon vom letzten Jahr, andere waren neu. Man muss auch schauen, dass man alle Leute gut fordert und es interessant für sie macht. Aber es sind mit Dialogen, Tanz und Gesang auch drei Punkte, die am Ende gut zusammenlaufen müssen. Und das wirklich zusammenzufügen ist für alle Beteiligten eine Menge Arbeit.

Du hast an nur vier Wochenenden die ganze Operette inszeniert, wie hast du dich dafür organisiert?

Ich steige um 5.20 in Hannover in den Zug… und bei den Proben gehe ich chronologisch durch das Stück: erst Nummer für Nummer, und dann versuche ich schnell größere Blöcke zu wiederholen, damit es in die Körper geht. Für mich sind es immer zwei sehr intensive Tage, da ich wirklich in jeder Sekunde voll da sein muss. Also man muss schon ziemlich genau wissen, wo man hinwill, denn für schwimmen ist einfach keine Zeit. Man braucht eine gute Grundstruktur, auf der man dann in den Proben aufbauen kann. Das A und O ist natürlich auch immer eine gute Regieassistentin und viel Kaffee.

Kanntest du Die lustigen Nibelungen vorher schon?

Nur auszugsweise, nicht komplett.

Wie findest du diese Operette?

Sehr unterhaltsam, ich hatte wirklich sehr viel Spaß, als ich es vorbereitet habe. Das Stück ist einfach so stark überzeichnet. Und vor ein paar Jahren habe ich schon mal eine Tannhäuser-Parodie gemacht, was auch sehr viel Spaß gemacht hat. Da konnte ich dann mit noch einer Wagner-Parodie gut andocken als Opernregisseurin.

Wie viel Wagner steckt in den Lustigen Nibelungen?

Naja, es ist eher frei an der Vorlage bedient und total gegen diese Behauptung des Heldentums und des Epochalen gearbeitet. Also man nehme den Mythos, verbürgerliche ihn und verkehre ihn einmal komplett. Es ist fast eine komplette Entkernung dieser behaupteten Epochalität.

Wie bürgerlich sind diese Götter- und Heldenfiguren schon bei Wagner?

Schwierige Frage. Bei Wagner selbst kann man so viele unterschiedliche Themen anregen, dass man es nicht sagen kann. Aber der Ring des Nibelungen ist auf jeden Fall politisch, von daher kann man schon sagen, dass die Figuren bürgerlich funktionieren.

Welche Figur ist deine Lieblingsfigur in den Lustigen Nibelungen?

Ich war sehr drachenverliebt. Aber eigentlich mochte ich sie alle, weil sie einfach so wundervoll absurd zusammenhängen. Es ist ja wirklich sehr bunt, sehr chaotisch, sehr verworren. Es hat einfach unglaublich viel Spaß gemacht, innerhalb des Gesamtpersonals die Bezüge herzustellen. Denn es wusste ja nicht jede*r, was ich wem anders über seine bzw. ihre Beziehungen zu den anderen Figuren erzählt habe. Es war ein ziemliches Gesellschaftsgossip-Event. Das hat ziemlich viel Spaß gemacht.

Hast du dir die Storys über die einzelnen Figuren selbst ausgedacht?

Ja, da ich einige Sänger*innen schon gut kannte, habe ich mit fantasievoller Familien-Konstellations-Thematik einen Stammbaum entworfen und mir dann ausgedacht, wer mit wem zusammenhängt und den Leuten auch Aufgaben mitgegeben. Die mussten Tagebuch führen, wie oft sie z. B. wem begegnen und da kamen dann ganz interessante Zusammenhänge dabei raus. Aber was natürlich klar ist, dass Siegfried z. B. Kriemhild heiraten soll, das steht ja so im Text. Also Grundkonstellationen sind vorgegeben, aber wer weiß schon, ob Ute vielleicht mal was mit Hagen hatte?

Foto: Lukas Krebs

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