Gegen Ver-rückung

Manchmal gehe ich ins Museum und lasse mich überwältigen, bis mir schwindlig wird – so geschehen bei den psychedelischen Op-Art-Bildern von Victor Vasarely im Frankfurter Städel Museum. Manchmal gehe ich aber auch ins Museum und weiß danach nicht genau, wie meine sich dann spontan einstellende Gefühlslage zu deuten ist. So geschehen in der Lotte-Laserstein-Ausstellung, ebenfalls im Städel. Ich habe die Retrospektive, die in sechs thematische Bereiche eingeteilt ist, mit einer Mischung aus Ehrfurcht, Angst, Wut, Trauer und Beglückung durch Kunstgenuss verlassen und bin dann noch mal rein, um einige Bilder noch einmal anzusehen. Warum?

Lotte Laserstein wurde 1898 geboren und studierte als eine der ersten Frauen ab 1921 Kunst. In den momentan so glorifizierten Zeiten der Weimarer Republik war sie eine gefeierte, unabhängige, moderne Künstlerin, die sich vor allem durch ihre einen direkt anblickenden Porträts einen Namen machte. Daher wohl auch der Titel der Ausstellung: Von Angesicht zu Angesicht. 1930 erschuf sie mit Abend über Potsdam ihr großformatiges Hauptwerk, das eine Stimmung in sich birgt, die kaum in Worte zu fassen ist. Auf dem großen Tisch auf dem Balkon finden sich noch die Reste eines gemeinsamen Abendbrotes, angebrochene Weinflaschen, Brotreste, angebissene Äpfel, dargestellt wie in einem Stillleben. Auch die Personen, teils am Tisch sitzend, teils am Balkon lehnend und den Blick über die Kulisse Potsdams schweifen lassend, sind still. Es findet keine Interaktion zwischen ihnen statt. Sie wirken vereinzelt, als hätten sie sich gerade nichts mehr zu sagen, als müssten sie nachdenken über das, was da draußen, in der Verrücktheit des sich in unmittelbarer Nähe befindlichen Großstadtmolochs Berlin, passiert. So kurz nach dem Börsencrash und Wirtschaftskrise, als die Braunhemden immer mehr Anhänger finden und sich eine wortwörtliche Ver-rückung der Gesellschaft vollzieht. Diese Lotte Laserstein also, wird als Frau und Jüdin kurze Zeit später verfemt und mit einem Berufsverbot belegt, ihr unschuldiges Werk Im Gathaus wird als „entartet“ gebrandmarkt. 1937 reist sie nach Schweden aus und bleibt dort bis zu ihrem Lebensende 1993. Sie ist eine Jahrhundert-Zeitzeugin. Sie muss sich, ohne Kenntnis der Sprache und ohne soziale Kontakte eine neue Existenz aufbauen – was ihr gelingt. Die unabhängige Frau mit Kurzhaarschnitt, die sich stets stolz als pragmatische Malerin im weißen Kittel darstellte, rettet ihre Würde in die Emigration und lebt von Porträtdarstellungen der schwedischen Upper Class. Wenngleich sie dadurch auch ihren eignen Stil bis zu einem gewissen Grad aufgeben muss, um dem Geschmack der Kundschaft zu entsprechen. Dennoch verkauft sie sich nicht nur an den Kommerz und besonders bei Porträts anderer Emigranten oder Selbstporträts bleibt sie ihrer Handschrift treu. Erst kurz vor ihrem Tod wird Lotte Laserstein wiederentdeckt und in einer ersten Retrospektive gewürdigt.

Warum mich dieses Künstlerinnen-Schicksal so bewegt? Weil auch wir gerade in bewegten Zeiten leben. Da draußen gibt es eine Partei, die die Kultur in unserem Land zu einer „nationalen“ Kultur umbauen und andere, nicht ins Programm passende Kultur, verschwinden lassen will. Aus den Theatern, aus den Konzerthäusern, aus den Museen. Unter dem Deckmäntelchen des Sparzwanges hat diese Partei jüngst in Niedersachsen angeregt, den Kulturetat massiv zusammenzustreichen. Ein Glück, dass sie mit diesem Vorstoß allein auf weiter Flur standen. Aber was, wenn ihr Einfluss weiter steigt und sie ihre skurrilen Forderungen durchsetzen können? Wenn wieder eine kollektive Ver-rückung der Gesellschaft vor sich geht? Müssen dann Künstlerinnen wie Lotte Laserstein emigrieren, weil sie nicht mehr ins Konzept passen? Wir sollten es besser nicht so weit kommen lassen.

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