Ich stelle mir vor, wie Max Liebermann 1898 am niederländischen Strand sitzt, ausgestattet mit Staffelei, Pinseln, Leinwand, Farben, anderen Malerutensilien. Er beobachtet die badenden Jungen am Strand. Sie sind zwischen acht und 14 Jahren alt, Kinder, Jugendliche, mit drahtigen, langen Körpern. Ihre Kleider lassen sie achtlos in den Sand fallen und stürzen sich nackt (oder ist das nur eine Fantasie des Künstlers?) in die Wellen. Einige toben in der Brandung, andere verlassen das Wasser schon wieder oder ziehen die zu großen, ehemals weißen, jetzt grau gewaschenen Hemden über (vielleicht abgelegte Kleidungsstücke der Väter oder älterer Brüder?). Liebermann sitzt und beobachtet das Treiben. Dann beginnt er zu malen.
Es ist eine Impression, die er einfängt, ein kurzer Moment eines vielleicht langen Nachmittags am Strand. Im Zentrum seines ca. 1,20 m breiten und 1 m hohen Gemäldes befinden sich drei nackte Jungen. Ich stelle mir vor, dass Liebermann zunächst die Erziehungsberechtigten und die Jungen selbst um Erlaubnis gebeten hat, sie malen zu dürfen. Wie lässt sich sonst erklären, dass das Bild heute in der Neuen Pinakothek in München hängt?
Man stelle sich dieselbe Szenerie heute, 2018 vor, die Jungen sind im Freibad, unbekümmert springen sie ins Wasser, selbstverständlich tragen sie Badehosen. Ein entfernter Verwandter von Liebermann zückt seine Kamera, er möchte diese Impression, diesen kurzen Moment eines vielleicht langen Nachmittags, einfangen. Auch er fragt die Erziehungsberechtigten und die Jungen um ihre Einwilligung. Werden sie zustimmen? Wird eine entfernte Verwandte von mir in 120 Jahren in einem Museum sitzen und sich das Zustandekommen dieser Fotografie vorstellen?
Bild: Sammlung Pinakothek, Creative Commons
Kunsthistorische Einordnung des Gemäldes HIER.